Ich bin dann mal weg

Natür­lich bin ich nicht wirk­lich weg im Sinne von »weg«, aber seit einem hal­ben Jahr ste­ht mein Lehrerpult bekan­ntlich nicht mehr in Nieder­sach­sen, son­dern in Ser­bi­en. Mein Job hier nen­nt sich „Lan­despro­gramm­lehrkraft“ und umfasst unter­schiedlich­ste Aspek­te, die – soviel sei vor­weggenom­men – nahezu alle­samt faszinierend sind. Warum der Dienst im Aus­land eine Erfahrung fürs Leben ist, möchte ich wenig näher aus­führen, indem ich die häu­fig­sten und die grundle­gend­sten Fra­gen schriftlich abar­beite.

F: Wie kommt man ins Aus­land?
A: Es gibt unter­schiedliche Wege, deren Details man unter den Stich­wörtern »Aus­lands­di­en­stlehrkraft« (ALDK), »Ort­slehrkraft« (OLK), »Bun­de­spro­gramm­lehrkraft« (BPLK) und eben »Lan­despro­gramm­lehrkraft« (LPLK) bei der Such­mas­chine seines Ver­trauens erfra­gen kann. Wir Lan­despro­gramm­lehrkräfte unter­ste­hen weit­er­hin dem Kul­tus­min­is­teri­um unseres Bun­des­lan­des – bei mir also Nieder­sach­sen –, wer­den aber über die Zen­tral­stelle für das Aus­landss­chul­we­sen (ZfA) ins Aus­land ver­mit­telt. Im Regelfall arbeit­en wir nicht an Deutschen Schulen im Aus­land, son­dern an ein­heimis­chen Schulen, die außer­dem bevorzugt in Län­dern liegen, in denen Deutsch eine wichtige Rolle als Fremd­sprache spielt – also vor allem östlich dessen, was die Älteren von uns noch als »Eis­er­nen Vorhang« ken­nen gel­ernt haben. Ob es dann eher Warschau oder Wladi­wos­tok wird, hängt sowohl von Wun­sch als auch von Bedarf ab.

F: Und was macht man dann in Warschau, Wladi­wos­tok oder Bel­grad?
A: Im Wesentlichen übernehmen wir an unseren neuen Schulen die Rolle des Mut­ter­sprach­lers im Deutsch-(als Fremd­sprache = »DaF«)-Unterricht, sprin­gen aber, je nach studiert­er Fachkom­bi­na­tion und Bedarf vor Ort, auch im bilin­gualen Unter­richt für Geschichte, Kun­st oder sog­ar Infor­matik ein. Im Deutschunter­richt ver­sor­gen wir unsere Kol­le­gen und Schüler mit mut­ter­sprach­lichen Äußerun­gen, helfen bei ein­er Ein­schätzung, was »man« als Deutsch­er sagen würde oder sor­gen für Authen­tiz­ität bei Aspek­ten der Lan­deskunde. Klingt vielle­icht ein wenig klin­isch und unspez­i­fisch, also But­ter bei die Fis­che. Ich erk­läre im All­t­ag: Wo liegt der Unter­schied zwis­chen den For­mulierun­gen »Ich möchte den Kuchen pro­bieren« und »Ich möchte den Kuchen kosten«? Oder: Warum gebe ich bei Übun­gen zu Geschäfts­briefen eine »IBAN« an und nicht mehr meine Kon­ton­um­mer und Ban­kleitzahl, obwohl das im Lehrbuch ste­ht? Last but not least bere­it­en wir Lern­grup­pen ganz beson­ders auf das DSD vor.

F: Was ist dieses DSD?
A: DSD ste­ht für »Deutsches Sprachdiplom« und der­er gibt es zwei. Grund­sät­zlich darf man sich das DSD als den deutschen Cousin von DELF, DELE oder TOEFL vorstellen: Es zer­ti­fiziert Sprachken­nt­nisse auf einem bes­timmten Lev­el. Das DSD 1 auf dem Lev­el A2 oder B1, das DSD 2 hinge­gen auf dem Lev­el B2 oder C1. C1 ist gemäß dem Gemein­samen Europäis­chen Ref­eren­zrah­men – auch wenn es natür­lich einen Akzent haben darf – Deutsch auf einem Niveau, das qua Gram­matik und Wortschatz einem Mut­ter­sprach­ler entspricht. Die Tests dafür sind stan­dar­d­isiert und testen sowohl das Ver­ständ­nis (Hörver­ste­hen und Lesev­er­ste­hen) als auch die eigene Sprach­pro­duk­tion ab (Schriftliche und Mündliche Kom­mu­nika­tion).

F: Und das machst du jet­zt in Bel­grad, also Ser­bi­en?
A: Ja. DSD 1 und 2 am hiesi­gen Filološ­ka Gim­naz­i­ja, DSD 1 zusät­zlich am I., IX. und XIV. Gym­na­si­um. Ich lerne also unter­schiedliche Schüler­schaften, unter­schiedliche Schulen mit ihren Eigen­heit­en, teils auch dem jew­eili­gen Kol­legium und Lern­kli­ma ken­nen. Das ist dur­chaus faszinierend. Außer­dem bin ich – ins­beson­dere nach ser­bis­chem Recht und Gesetz – mehr Coach als Lehrer. Ich gebe keine Noten und stelle keine Klausuren, son­dern bin voll und ganz dafür da, meine Schü­lerin­nen und Schüler mit möglichst guten Deutschken­nt­nis­sen und einem möglichst bre­it­en Wis­sen über Deutsch­land als Staat und Gesellschaft auszus­tat­ten.

F: Aber ist Bel­grad nicht so ein biss­chen… ich meine, ist es gefährlich dort?
A: Nur wenn man im Zug­wind ste­ht, denn pro­ma­ja ist tödlich! Scherz bei­seite: Sta­tis­tisch ist Bel­grad sicher­er als Stock­holm.

F: Und ist da noch Krieg?
A: Nein. Und mich erschreckt ehrlicher­weise mehr als nur ein wenig, dass mir diese Frage tat­säch­lich gestellt wurde. Ich hoffe immer noch, sie war iro­nisch gemeint und ich habe lediglich diese Ironie überse­hen. Insofern, in aller Deut­lichkeit: Ich habe mich ganz bewusst für diese Stadt, damit auch gegen andere Ange­bote wie das sibirische Perm oder Ho-Chi-Minh-Stadt in Viet­nam entsch­ieden, weil ich Bel­grad für einen der span­nend­sten Orte auf unserem schö­nen Kon­ti­nent halte.

F: Also ist alles super dort?
A: Kommt drauf an, was man »super« nen­nen will. Natür­lich sehe ich, dass viele Gebäude in Bel­grad ein paar Liter Farbe brauchen kön­nten; auch Bestände des hiesi­gen ÖPNV haben schon in vordemokratis­chen Zeit­en Dienst getan und keuchen mit­tler­weile etwas asth­ma­tisch die Hügel der Alt­stadt hin­auf. Jugen­dar­beit­slosigkeit, die wirtschaftliche Lage all­ge­mein und die entsprechen­den Kon­se­quen­zen dieser Gemen­ge­lage sind eben­so ein sehr reales Prob­lem im All­t­ag und nicht ein­mal – wie in der Bun­desre­pub­lik bisweilen der Fall – eine Folge man­gel­nder oder gar zu real­itäts­fern­er Aus­bil­dung bzw. Anspruchshal­tung. Nicht zulet­zt würde ich all meinen hart arbei­t­en­den ein­heimis­chen Kol­le­gen min­destens eine Ver­dopplung, wenn nicht gar eine Ver­dreifachung ihres Lehrerge­halts wün­schen. Ich bin also dur­chaus nicht blind für die Prob­leme, mit denen Ser­bi­en, wie jede Tran­si­tion­sökonomie in Ost‑, Mittelost‑, und Südos­teu­ropa zu kämpfen hat. Trotz­dem lebe ich gerne hier.

F: Warum? Was macht diesen Dienst so großar­tig?
A: Ich bin an ein­er ganz anderen Schnittstelle von Schülern und Unter­richt tätig und gewinne Ein­blick in unter­schiedliche schulis­che, nen­nen wir es mal: Ökosys­teme. Als in Ser­bi­en leben­der Aus­län­der erhalte ich gle­ichzeit­ig Ein­blick in eine andere Gesellschaft, ihre Wün­sche, Nöte, Prob­leme, Sehn­süchte – ihr Leben. Das wiederum verän­dert meinen Blick auf die Bun­desre­pub­lik; ich merke tagtäglich, wie wenig ich einen ja zweifel­los vorhan­de­nen Hang zu Unzufrieden­heit in Deutsch­land nachvol­lziehen kann. Ich lerne fern­er jeden Tag Ser­bisch dazu, was ich vor Dien­stantritt nur rudi­men­tär rade­brechen kon­nte. Grund­sät­zlich kann man diesen ganzen Aufen­thalt auf zweier­lei Weise analysieren und bew­erten: Auf der objek­tiv­en Ebene reden wir deutschen Geschicht­slehrer immer vom »Per­spek­tivwech­sel«, den wir unseren Lern­grup­pen abver­lan­gen. Ich lebe hier einen solchen Per­spek­tivwech­sel. Ander­er­seits gibt es die per­sön­liche Per­spek­tive: Ich wäre gerne schon im Studi­um, ehrlicher­weise sog­ar schon als Elftk­lässler ins Aus­land gegan­gen. Meist war das aber so illu­sorisch, dass ich gar nicht darüber gesprochen habe. Die Tat­sache, dass ich nun nicht nur Aus­land­ser­fahrung sam­meln, son­dern diese auch noch mit meinem Beruf verbinden kann, finde ich umw­er­fend! Ich hätte diesen Dienst auch in Tiflis oder Taschkent ange­treten, aber Bel­grad war für mich das i‑Tüpfelchen: Ich kenne und mag die Stadt, habe Fre­unde und Bekan­nte hier, die mir den Umzug, die Eingewöh­nung, den All­t­ag unge­mein vere­in­facht haben.

F: Klingt, als würdest du dort bleiben.
A: Klar. Das geht aber nicht für immer: Das »Pro­gramm« im Wort Lan­despro­gramm­lehrkraft sieht vor, dass wir unsere Jahresverträge max­i­mal fünf­mal ver­längern dür­fen, mit Ablauf des sech­sten Jahres ist also die Rück­kehr ins Schul­sys­tem des Heimat­bun­des­lan­des verpflich­t­end. Mich hat das Kul­tus­min­is­teri­um in Han­nover erst ein­mal bis Som­mer 2018 freigestellt, ob ich dann bis 2019, 2020 oder max­i­mal bis 2022 ver­län­gere, werde ich jew­eils ad hoc entschei­den.