Gesamtschule vs. Gymnasium…

Meine Zeit im Aus­land neigt sich dem Ende ent­ge­gen und so habe ich während der ver­gan­genen Wochen mit der nieder­säch­sis­chen Lan­dess­chul­be­hörde (LSchB) nach ein­er Schule gesucht, an der ich kün­ftig unter­richt­en werde. Eine Pri­or­ität war klar: Ich möchte lieber an ein Gym­na­si­um als an eine Gesamtschule. Warum eigentlich?

Das Prinzip Gym­na­si­um ist den meis­ten Men­schen bekan­nt: Das leis­tungsstärke Drit­tel ein­er Grund­schulk­lasse wird hier­her ver­set­zt, um the­o­riege­bun­den gebildet und so auf den Besuch ein­er Uni­ver­sität vor­bere­it­et zu wer­den. Ins­beson­dere die Inte­gri­erte Gesamtschule, IGS, ste­ht hinge­gen Schülern aller Begabun­gen offen; sie wer­den in Kurzfäch­ern wie Musik, Physik oder Erd­kunde gewöhn­lich im Klassen­ver­band unter­richtet, während sie in den Langfäch­ern wie Deutsch oder Math­e­matik in drei Niveaustufen ein­sortiert wer­den, sodass leis­tung­shomo­genere Lern­grup­pen entste­hen.

Eine IGS ist dadurch eine Option für jene Kinder und Jugendlichen, die eine aus­geprägte Schwäche oder, umgekehrt, eine Insel­be­gabung haben: Durch die Dif­feren­zierung in Haupt­fäch­ern ist es möglich, grund­sät­zlich auf gym­nasialem Niveau unter­richtet zu wer­den, aber beispiel­sweise den Englisch C‑Kurs zu besuchen. Ander­er­seits kann sich beispiel­sweise der durch­schnit­tlich faule Schüler mit Faible für Math­e­matik im A‑Kurs tum­meln, aber anson­sten im Mit­telfeld oder darunter beschult wer­den. – Dafür ist eine IGS sys­temisch aus­gelegt. Auch für Jugendliche, deren Eltern auf eine später ein­set­zende Steigerung der schulis­chen Leis­tun­gen hof­fen (vul­go: »Spätzün­der«), kann die IGS eine Alter­na­tive sein.

Durch die entsprechend het­ero­genere Schüler­schaft ist die IGS für Lehrkräfte span­nend, die sich lieber päd­a­gogisch engagieren: Mehr als an einem Gym­na­si­um ist die Erziehungsauf­gabe ein Ker­naspekt im Schu­lall­t­ag, weil dem einen Kind Ver­ständ­nis ver­mit­telt wer­den soll für den langsamer ler­nen­den und begreifend­en Mitschüler, während dem anderen erk­lärt wird, dass bessere Noten kein Grund für Mob­bing sein dür­fen.

Es gibt also sowohl Schüler als auch Lehrer, für die eine IGS eine inter­es­sante oder sog­ar die präferierte Schul­form ist. Ich gehöre jedoch nicht zu diesem Per­so­n­enkreis.

Ich bin inter­essiert daran, wer mir im Unter­richt gegenüber sitzt, ich mag sta­bile Kon­stel­la­tio­nen. Diese zwis­chen­men­schliche Brücke funk­tion­iert aber nur schwierig in einem Sys­tem, das auf Wechsel(fähigkeit) aus­gelegt ist: Wenn man in diesem Hal­b­jahr im A‑Kurs ist, aber im näch­sten im B‑Kurs, wieso soll­ten Schüler und Lehrer dann auf der Beziehungsebene arbeit­en? Es kann ein Kom­men und Gehen herrschen – aber das Prinzip »πάντα ῥεῖ« ist im Schu­lall­t­ag hin­der­lich. Oben­drein stellt sich die Frage: Wenn der Schüler dadurch, dass alles im Fluss ist, nicht ein­mal sich­er sein kann, es am Ende sein­er Schul­lauf­bahn bis zum Abitur zu schaf­fen, wieso sollte er dann Latein ler­nen – mein Fach? Ein Fach, in dem man zwar fürs Leben lernt, das aber erst beim Über­tritt an die Uni­ver­sität all seine Stärken ausspie­len kann.

Auch aus grund­sät­zlichen Erwä­gun­gen bin ich kein Anhänger der IGS. Im Gegen­satz zu dem, was Anhänger des Gesamtschul­sys­tems beschwören, ergaben die Testergeb­nisse bei PISA, dass der Bil­dungser­folg an Gesamtschulen stark vom Eltern­haus abhängt. Stärk­er als im dif­feren­zierten Schul­sys­tem (auch wenn dies in der Wikipedia inzwis­chen als »Mes­sun­ge­nauigkeit« abge­tan wird). Ich als »Arbeit­erkind« habe also dem Gym­na­si­um etwas zu ver­danken.

Was erst ein­mal kon­train­tu­itiv klingt, ist gar nicht so schw­er zu erk­lären: In den dif­feren­zierten Fäch­ern ist die Hem­mung der Kol­le­gen viel geringer, einen Schüler herun­terzustufen, also von A auf B oder von B auf C: Er bleibt ja trotz­dem auf der Schule. Oft genug geschieht dies sog­ar als Automa­tismus und ist sys­temim­ma­nent. Im Ver­gle­ich dazu wird der Gym­nasialkol­lege eher Hil­fe anbi­eten, um ein­er Abschu­lung auf die Realschule zuvorzukom­men, wann immer das sin­nvoll ist. In den nicht dif­feren­zierten Fäch­ern sollte bin­nen­dif­feren­ziert wer­den – oft genug scheit­ert dieser Anspruch aber an der Real­ität, ins­beson­dere wenn zusät­zlich päd­a­gogis­che Arbeit anste­ht. Dann gibt es Arbeits­blät­ter – vielle­icht noch mit Hil­fen für die Schwächeren und Zusatza­uf­gaben für die Stärk­eren. Der Lehrer wid­met den Schwächeren mehr Zeit, bei ein­er het­ero­ge­nen Klasse lei­der jedem zu wenig davon. Die aus der Wer­bung bekan­nte Zah­narzt­frau kann dann zuhause die Lück­en ihres Sprösslings auf­fan­gen, während der, ich übertreibe, allein­erziehende, Vol­lzeit arbei­t­ende Vater mit Migra­tionsh­in­ter­grund das kaum schafft, auch wenn er will. Und so repro­duziert man soziale Schich­tung, obwohl Hoff­nung und Zielset­zung bei der Pla­nung von Gesamtschul­sys­te­men diame­tral ent­ge­genge­set­zt waren.

Zusam­menge­fasst ist für mich, meine Präferen­zen und meine Lehrerper­sön­lichkeit das Gym­na­si­um die deut­lich bessere Option. In diesem Sinne kann ich über die Suche der Lan­dess­chul­be­hörde für mich auch nur sagen: Glück gehabt!