KI im Unterricht: Coach, nicht Sklave!?

Kün­stliche Intel­li­genz (KI) ist längst kein Zukun­ft­s­the­ma mehr, son­dern find­et zunehmend Anwen­dung in ver­schiede­nen Lebens­bere­ichen – beson­ders im Gym­na­si­um kön­nte KI eine wichtige Rolle spie­len, um Lern­prozesse zu unter­stützen, zu indi­vid­u­al­isieren und zu fördern. Doch wie genau kann KI den Unter­richt bere­ich­ern? Welche Möglichkeit­en bieten dig­i­tale Tools, um sowohl Schüler als auch Lehrer zu ent­las­ten? Dieser Text wirft einen Blick auf die Chan­cen und Her­aus­forderun­gen, die mit dem Ein­satz von KI im Unter­richt ver­bun­den sind.

…und wer sich schon ein­mal sel­ber mit dem The­ma KI auseinan­derge­set­zt hat, wird zweifel­los bemerkt haben, dass ich mir diesen Ein­leitungsab­satz von so einem Rechenknecht habe erstellen lassen. Der Duk­tus ist näm­lich immer ähn­lich: Nüchternes Deutsch im gehobe­nen Stil, »Beamten­prosa« par excel­lence, bar jeglich­er Pointe. Im Schu­lall­t­ag hil­ft das, diejeni­gen Hausauf­gaben und Refer­ate zu iden­ti­fizieren, für deren Erstel­lung ein Schüler oder eine Schü­lerin kaum mehr als drei Minuten aufgewen­det hat: Erstel­lung eines Prompts, Copy, Paste, fer­tig. Jugendliche (und nicht nur die) nutzen Kün­stliche Intel­li­gen­zen primär als Sklaven, die ihnen unlieb­same Arbeit­en abnehmen. In diesem Sinne wirkt KI im Schulzusam­men­hang erst ein­mal dis­rup­tiv: Chat­G­PT & Co. sind qua­si die Ket­ten­säge aus Ein­sen und Nullen, die unsere über Jahre und Jahrzehnte aufge­baut­en und gepflegten Struk­turen sinn­los machen. Hausauf­gaben? Null Minuten Aufwand. Refer­ate? Null Minuten Recherchezeit. Präsen­ta­tio­nen? Null Minuten für Infor­ma­tion­ssamm­lung, ‑struk­turierung und Abstrak­tion in Stich­worten. Ganze Fachar­beit­en – und damit später auch Sem­i­narar­beit­en im uni­ver­sitären Kon­text – sind so, wie wir sie ken­nen, obso­let. Die bessere Note holt sich bere­its jet­zt nicht mehr, wer mehr weiß, wer elo­quenter argu­men­tieren kann, wer klügere Schlussfol­gerun­gen zieht – son­dern wer zum let­zten Geburt­stag das Pro-Abon­nement von Chat­G­PT bekom­men hat (kein Scherz, das passiert).

Schule ste­ht also aktuell vor zwei Her­aus­forderun­gen:

    1. Wir müssen Auf­gaben­stel­lun­gen find­en, die Wis­sen und Kom­pe­ten­zen fair bew­erten, aber nicht vol­lum­fänglich von KI gelöst wer­den kön­nen.
    2. Wir müssen unsere Schü­lerin­nen und Schüler fit machen, KI sin­nvoll zu nutzen.

Let­zteres ist aufwändig, denn natür­lich ist es reizvoll, sich von ein­er Kün­stlichen Intel­li­genz die Hausauf­gabe schreiben zu lassen, während man selb­st seine Zeit mit Angenehmerem füllt. Das hät­ten wir alle gemacht, wenn wir die Chance gehabt hät­ten. Trotz­dem hat diese Art, KI zu nutzen – ich spreche hier von »KI als Sklave« – deut­liche Nachteile: Wenn über Wochen nur eine Kün­stliche Intel­li­genz meine Latein­texte über­set­zt, meine Kur­vendiskus­sio­nen geführt, meine Musikhis­to­rie recher­chiert hat, dann sitze ich am Stich­tag der Klasse­nar­beit oder der Klausur – und kann sel­ber nichts. Das ist, als wolle man ohne jedes Train­ing einen Marathon mit­laufen. Jed­er Arzt dürfte davon abrat­en. Aus Grün­den!

Sin­nvoller ist es, die neuen Helfer als Stütze zu ver­wen­den; ich spreche dann von »KI als Coach«. Natür­lich kön­nte ich mir in Geschichte gle­ich ein kom­plettes Refer­at schreiben lassen, aber ich kann eben auch die Auf­gabe (Fach­sprache: »den Prompt«) ver­wen­den: »Struk­turiere mir ein 20-minütiges Refer­at über katholis­chen Wider­stand im ›Drit­ten Reich‹!«, um so sicherzuge­hen, dass alle wichti­gen Felder abgedeckt sind. Auch ein­fache Wis­sens­fra­gen zu Details liefert eine KI zumeist zuver­läs­sig. Solcher­art aus­gerüstet kann man das KI-Gerüst mit eigen­er Recherche füllen und am Ende als Exper­tin oder Experte ein Refer­at vor­tra­gen, das inhaltlich kaum mehr schlecht sein kann – eben weil man ja einen »Coach« hat­te. Eine KI klug anzuwen­den, bedeutet also im End­ef­fekt, jedem Kind einen Pri­vatlehrer an die Seite zu geben. Das Prob­lem, dass ich als Lehrer nicht zeit­gle­ich über 30 Schul­tern guck­en und indi­vidu­elle Hil­festel­lung geben kann, erübrigt sich mit einem Schlag.

In Latein sieht die Lage ähn­lich aus, wird aber an dur­chaus über­raschen­der Stelle nochmals erschw­ert. Ich möchte das an einem Beispiel erläutern: Ich habe aus unserem Lehrbuch (»Adea­mus« aus dem Old­en­bourg-Ver­lag) den Anfang des Wieder­hol­ung­s­textes auf S. 61 abgetippt, eine Über­set­zung ange­fer­tigt und sie mit Fehlern verse­hen. Dann habe ich fol­gende drei Absätze (Prompt + Orig­i­nal + fehler­hafte Über­set­zung) bei ver­schiede­nen KIs eingegeben:

Ich habe den folgenden lateinischen Text auf Deutsch übersetzt. 
Prüfe meine Übersetzung Satz für Satz auf Fehler. Gib für jeden 
Satz nur eine kurze Bewertung und einen schülergerechten „Tipp zur 
Verbesserung“, der einen Denkanstoß zum Fehler gibt, ohne die 
richtige Übersetzung direkt zu verraten. Halte die Erklärung 
einfach, klar und ohne zusätzliche Details zur Grammatik oder 
Kontext.

Capitolium magno in periculo est. Nam Galli urbem omnem capere 
cupiunt. Nox est. Clam hostes ad Capitolium accedunt - tacent et 
latent. Non cessant: Iam Gallus prudens viam invenit, iam multi 
Galli cum armis summum petunt. In Capitolio omnes dormiunt: Romani 
enim, qui Gallos hic non exspectant, curis vacant.

Das große Kapitol ist in Gefahr. Die Gallier wollen nämlich die 
ganze Stadt erobern. Die Nacht ist. Heimlich nähern sich die 
Staatsfeinde dem Kapitol - sie schweigen und sie verstecken 
sich. Sie zweifeln nicht: Schon findet ein stolzer Gallier den Weg, 
schon erstreben viele Gallier mit Waffen den Hügel. Das ganze 
Kapitol schläft: Die Römer haben nämlich die Kurie geleert, weil 
sie die Gallier hier nicht erwarten.

Der »Platzhirsch« unter den KIs, Chat­G­PT patzt hier gle­ich mehrfach. Zu Satz 1 heißt es beispiel­sweise:

Das ist schlicht Mumpitz. Abge­se­hen von der Tat­sache, dass ich also »Capi­toli­um« nicht mit »Kapi­tol«, son­dern mit »Kapi­tol« über­set­zen soll [sic!], habe ich hier vor allem einen Beziehungs­fehler einge­baut, denn »magno« (groß) bezieht sich hier auf »per­iculo« (Gefahr); ein Bezug auf »Capi­tolium« (das Kapi­tol, ein­er der sieben Hügel Roms) ist gram­ma­tisch unmöglich. Das über­sieht Chat­G­PT lei­der vol­lkom­men. Richtig wäre einzig: »Das Kapi­tol ist in großer Gefahr«.

Beim let­zten Satz wird dann die Rück­mel­dung vol­lends wirr:

Die Aus­sage ist nicht per se falsch, tat­säch­lich ist »qui Gal­los hic non exspec­tant« nicht »die Römer haben die Kurie geleert«, denn der lateinis­che und der deutsche Halb­satz, die Chat­G­PT hier zusam­men­wirft, haben nichts miteinan­der zu tun. Zwei der drei fet­ten Fehler, die ich zum Ende einge­baut habe, über­sieht das Pro­gramm sog­ar voll­ständig:

    • »omnes« (alle) kann sich nicht auf »Capi­to­lio« beziehen, das hier auch gar nicht Sub­jekt sein kann. Richtig wäre: »Auf dem Kapi­tol schlafen alle«.
    • »qui« (die, welche) leit­et einen Rel­a­tivsatz ein und kann nicht »weil« heißen; richtig wäre hier: »die Römer, die die Gal­li­er hier nicht erwarten…«.
    • Dass bei dem »curis vacare« etwas nicht okay ist, hat Chat­G­PT gemerkt, aber dass hier auch ein Tem­pus­fehler vor­liegt, fehlt im Schüler­hin­weis kom­plett. Kor­rekt wäre: »Die Römer […] sind frei von Sor­gen.«

Inter­es­san­ter­weise ist Chat­G­PT ohne­hin ten­den­ziell schlecht, was Latein ange­ht: Viele Anmerkun­gen sind ober­fläch­lich, Fehler wer­den nicht erkan­nt, während umgekehrt manch­mal auf Details herumgerit­ten wird, die jede Latein­lehrkraft durchge­hen ließe (z.B. wehrt sich Chat­G­PT bei meinem Über­set­zungs­beispiel vehe­ment gegen die Über­set­zung von »hostes« als Staats­feinde, obwohl das eine der Grundbe­deu­tun­gen ist, um sauber zwis­chen »hostis« und dem per­sön­lichen Geg­n­er »inim­i­cus« zu unter­schei­den). Kon­se­quenter­weise lässt sich fes­thal­ten, dass Chat­G­PT zum jet­zi­gen Zeit­punkt kein empfehlenswert­er Coach ist, wenn man sein Latein über­prüfen oder auf­polieren möchte.

Die kün­stliche Intel­li­genz Claude ist schon etwas bess­er mit seinen Hin­weisen:

 

Auf einem ähn­lichen Niveau hil­ft auch Deepseek, jene chi­ne­sis­che KI, die unlängst Furore gemacht hat:

 

Aktuell noch etwas bess­er helfen Googles Gem­i­ni…:

 

…und Grok, die kün­stliche Intel­li­genz aus dem Hause X:

 

Zwis­chen­durch recht gut, mit­tler­weile aber im Zugriff restringiert und offen­sichtlich auf ein schwächeres Mod­ell zurück­greifend präsen­tiert sich der einzige europäis­che Anbi­eter, Le Chat vom franzö­sis­chen Unternehmen Mis­tral. Dies lässt in jedem Fall eine weit­ere Frage zu: Zu welch­er KI rate ich meinen Lern­grup­pen? Ich kann nie­man­dem guten Gewis­sens sagen, er möge seine Dat­en nach Chi­na schick­en, auch wenn Deepseek noch so gute Hil­fe zum Preis von 0 € bietet. Auch Google (Gem­i­ni) oder Elon Musk (X/Grok) sind nicht ger­ade Anbi­eter, die ich anpreisen möchte. In Deutsch­land laufende, DSG­VO-beach­t­ende Ange­bote wie z.B. die Fobizz-KI, sind meist eine Anbindung an Chat­G­PT – inklu­sive der genan­nten Schwächen bei Latein – und zudem noch bezahlt.

Am Ende heißt also das Dilem­ma: Ich kön­nte – rein the­o­retisch – mit meinen Lern­grup­pen Unter­richt nach dem tech­nis­chen Gold­stan­dard machen, also mit KI der jüng­sten Gen­er­a­tion; ich kön­nte meinen Lern­grup­pen die Nutzung in ein­er Art und Weise beib­rin­gen, die sie selb­st coacht, stärk­er und fit­ter und selb­st­be­wusster bei Prü­fun­gen macht… – aber der Preis wären die Dat­en von Min­der­jähri­gen, weswe­gen ich die Möglichkeit­en in der Unter­richt­sprax­is keines­falls so auss­chöpfen kann, wie es tech­nisch möglich wäre. Ist eben noch alles Neu­land…